1. EINLEITUNG
Im türkischen Recht ist die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung vor türkischen Gerichten sowie deren Vollstreckung in der Türkei in Bezug auf ein Verfahren, das vor den staatlichen Gerichten oder im Schiedsverfahren eines fremden Landes anhängig ist, insbesondere bei Streitigkeiten mit internationalem Bezug für globale oder international operierende Unternehmen von großer Bedeutung.
Im Gegensatz zum Internationalen Schiedsgerichtsgesetz („MTK“) wird jedoch auf Grundlage des Gesetzes über das internationale Privatrecht und Zivilverfahrensrecht („MÖHUK“) festgestellt, dass die Zuständigkeit türkischer Gerichte zur Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen in Bezug auf Streitigkeiten, die vor türkischen oder ausländischen staatlichen Gerichten anhängig sind oder anhängig gemacht werden sollen, gemäß den örtlichen Zuständigkeitsregeln des innerstaatlichen Rechts durch Artikel 390 der türkischen Zivilprozessordnung („HMK“) geregelt wird.
Allerdings erweist sich Artikel 390 der HMK in diesem Zusammenhang als unzureichend. In der Praxis ist daher umstritten, ob türkische Gerichte in diesem Zusammenhang über internationale Zuständigkeit verfügen. Dieser Umstand bildet den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.
2. BEURTEILUNG IM RAHMEN DES „MÖHUK”
Der Zweck aller vorläufigen oder sichernden Maßnahmen besteht darin, streitige Vermögens- oder Forderungsrechte in bereits anhängigen oder anhängig zu machenden Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung zu sichern und somit die Vollstreckung des endgültigen Urteils zu ermöglichen.
Bei Streitigkeiten mit internationalem Bezug, in denen das zuständige Gericht ein ausländisches staatliches Gericht ist, kann es vorkommen, dass das Land, in dem das Verfahren geführt wird, von dem Land abweicht, in dem eine einstweilige Verfügung erwirkt und vollstreckt werden soll.
Im MÖHUK gibt es hierzu keine spezielle Regelung. Daher ist das Thema auf Grundlage der Verweisung in Artikel 40 des MÖHUK gemäß den örtlichen Zuständigkeitsregeln des innerstaatlichen Rechts, insbesondere nach Artikel 390 des HMK zu behandeln.
Gemäß Artikel 390 des HMK wird festgelegt, dass eine einstweilige Verfügung vor Klageerhebung bei dem sachlich und örtlich zuständigen Gericht beantragt werden muss, während nach Klageerhebung der Antrag ausschließlich bei dem Gericht gestellt werden kann, bei dem die Hauptsache anhängig ist. Falls in einem Verfahren, das vor einem Gericht eines ausländischen Staates anhängig gemacht wurde, kein türkisches Gericht zur Entscheidung über den Streitgegenstand zuständig ist, führt die dadurch entstehende Lücke, dass gemäß Artikel 390 des HMK auch kein türkisches Gericht für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zuständig ist, dazu, dass diese lediglich durch Auslegung geschlossen werden kann.
Falls kein türkisches Gericht „zur Entscheidung über die Hauptsache zuständig“ ist, scheint die Vollstreckung einstweiliger Verfügungen des ausländischen Gerichts, das die Hauptsache verhandelt, in der Türkei nicht möglich zu sein. Weil einstweilige Verfügungen ausländischer Gerichte mangels Rechtskraft grundsätzlich – abgesehen von einigen Ausnahmen – in der Türkei nicht anerkannt und vollstreckt werden können, entfaltet eine einstweilige Verfügung, die von einem ausländischen Gericht erlassen wird, das für die Hauptsache zuständig ist, in der Türkei keine rechtlichen Wirkungen. Diese Lücke im türkischen Recht kann dazu führen, dass ein endgültiges Urteil in der Hauptsache bedeutungslos wird, weil trotz Vorliegens der Voraussetzungen keine einstweilige Verfügung erlassen werden kann.
Wegen dieser Gesetzeslücke werden in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten, um Rechtsverluste zugunsten des Gläubigers zu vermeiden. Eine dieser Ansichten ist, dass Artikel 390/1 des HMK im Einklang mit dem Zweck einstweiliger Verfügungen ausgelegt werden soll. Nach dieser Auffassung sollten türkische Gerichte einstweilige Verfügungen erlassen können, selbst wenn sie weder örtliche noch internationale Zuständigkeit für die Hauptsache haben, sofern sich die von der Maßnahme betroffenen Vermögenswerte in der Türkei befinden. In diesem Zusammenhang wird bei einstweiligen Verfügungen, die von türkischen Gerichten in Streitigkeiten mit Auslandsberührung beantragt werden, das türkische Recht als lex fori angewendet.
Der türkische Kassationshof hat in einer Entscheidung über vorläufige oder sichernde Maßnahmen die Zuständigkeit türkischer Gerichte in Streitigkeiten mit internationalem Bezug geprüft und hat festgelegt, dass solche vorläufigen Rechtsschutzmaßnahmen im Interesse von Gerechtigkeit und sozialem Frieden unabhängig von der Staatsangehörigkeit gleichberechtigt angewendet werden sollten. Daher wurde in diesem Urteil entschieden, dass türkische Gerichte befugt sind, vorläufige Rechtsschutzmaßnahmen zu erlassen, selbst wenn ihre Zuständigkeit für die Hauptsache durch eine Gerichtsstandsvereinbarung ausgeschlossen wurde.
Ähnlich hat der türkische Kassationshof in einem weiteren Urteil entschieden, dass für die Vollstreckung von Urteilen ausländischer Gerichte, die nach den Gesetzen des Staates, in dem sie erlassen wurden, rechtskräftig sind, in der Türkei ein Anerkennungs- und Vollstreckungsbeschluss erforderlich ist. Der Kassationshof hat jedoch betont, dass für die Anordnung von Maßnahmen wie einem Arrest im Rahmen einer Entscheidung eines ausländischen Gerichts oder eines Schiedsgerichts, die eine Forderung feststellt, eine Anerkennung des ausländischen Urteils in der Türkei nicht erforderlich ist.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt ist die Möglichkeit, dass die Parteien in einem Streitfall, in dem die türkischen Gerichte internationale Zuständigkeit besitzen, gemäß Artikel 47 des MÖHUK durch eine Gerichtsstandsvereinbarung ein ausländisches Gericht als zuständig bestimmen. In diesem Fall wird die Zuständigkeit der türkischen Gerichte durch den Willen der Parteien aufgehoben, sofern die Gerichtsstandsvereinbarung die Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Nach der vorherrschenden Auffassung in der Lehre widerspricht es der Schutzfunktion vorläufiger Rechtsschutzmaßnahmen, wenn lediglich ein ausländisches Gericht für die Anordnung solcher Maßnahmen zuständig gemacht wird. In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass die Zuständigkeit ausländischer Gerichte nur die Hauptsache betrifft und vorläufige Maßnahmen davon auszunehmen und entsprechend auszulegen sind.
Für die Fortführung der vorläufigen Maßnahme ist bei der Bestimmung des für die Hauptsache zuständigen Gerichts ist der Artikel 397 des HMK zu berücksichtigen. Demnach ist der Antragsteller, sofern die einstweilige Verfügung vor Klageerhebung erlassen wurde, verpflichtet, innerhalb von zwei Wochen nach dem Datum, an dem die Vollstreckung der Maßnahme beantragt wurde, die Klage zur Hauptsache zu erheben. Andernfalls wird die einstweilige Verfügung von selbst unwirksam. In diesem Zusammenhang ist die vorherrschende Ansicht in der Lehre der Auffassung, dass bei der Auslegung von Artikel 397 des HMK das Gericht, bei dem die Hauptsache erhoben werden soll, sowohl als türkisches als auch als ausländisches Gericht verstanden werden sollte. Daher muss, um die in Artikel 397 des HMK festgelegte Voraussetzung zu erfüllen, innerhalb von zwei Wochen nach der Anordnung einer in der Türkei erlassenen einstweiligen Verfügung eine Klage zur Hauptsache bei dem zuständigen ausländischen Gericht erhoben werden. Anschließend ist dem türkischen Gericht, das die einstweilige Verfügung erlassen hat, die Klageerhebung beim ausländischen Gericht durch entsprechende Unterlagen nachzuweisen.
3. FAZIT
Im Rahmen des MÖHUK ist die Befugnis türkischer Gerichte, in Streitigkeiten mit internationalem Bezug einstweilige Verfügungen zu erlassen, von entscheidender Bedeutung, sowohl um den Bedarf an Rechtsschutz zu decken als auch um die Rechte der Parteien bei der Lösung internationaler Streitigkeiten zu wahren. Jedoch führen die Lücken in der Gesetzgebung und die Unzulänglichkeiten der entsprechenden Regelungen des türkischen Zivilprozessgesetzes in der Praxis zu verschiedenen Diskussionen.
Auch in Fällen, in denen türkische Gerichte keine Zuständigkeit für die Hauptsache haben, wird in der Lehre und in Entscheidungen des türkischen Kassationhofes anerkannt, dass türkische Gerichte zuständig sind, wenn sich der Gegenstand der einstweiligen Verfügung auf Vermögenswerte bezieht, die sich in der Türkei befinden. Dieser Ansatz ist sowohl für die Gewährleistung von Gerechtigkeit als auch für die Vermeidung von Rechtsverlusten der Parteien von wesentlicher Bedeutung.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Bestimmungen des türkischen Zivilprozessgesetzes im Einklang mit dem Zweck vorläufiger Rechtsschutzmaßnahmen sowie unter Berücksichtigung der Grundsätze des internationalen Rechts und der Ansichten der Lehre ausgelegt werden sollten, um die Lücken in der Gesetzgebung zu schließen. Auf diese Weise kann die Anwendbarkeit einstweiliger Verfügungen verbessert und die rechtliche Absicherung von Forderungen international tätiger Investoren und Unternehmen in der Türkei gewährleistet werden.
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